Massengrab von Jugendlichen auf dem North Tombs Cemetery in Amarna. (© Mary Shepperson/The Amarna Project).

Darum zwangen die Ägypter die Kinder Israels mit Gewalt zum Dienst, und sie machten ihnen das Leben bitter mit harter Zwangsarbeit an Lehm und Ziegeln und mit allerlei Feldarbeit, lauter Arbeiten, zu denen man sie mit Gewalt zwang.  2. Mose 1:13-14 (Schlachter 2000)

Archäologen haben in Ägypten die Überreste von Tausenden von Sklaven gefunden, bei denen es sich größtenteils um Jugendliche handelt. Dieses Sklaven hatten in harter Arbeit die Stadt Amarna aufgebaut, Ägyptens neue Hauptstadt unter Echnaton (auch: Amenhotep, Achenaton), dem exzentrischen Pharao der 18. Dynastie aus der Zeit des Neuen Reiches, von dem man annimmt, dass er eine Art Monotheismus einführte. Funde aus den Gräbern deuten darauf hin, dass die austauschbare und wahrscheinlich ausländische Sklavenarbeiterschaft schwer misshandelt wurde. Natürlich haben einige diesen Fund (und die Parallelen zum Exodus-Bericht) als Anlass genommen, um vorzuschlagen, dass dies ein Beleg für die israelitischen Sklaven ist.
Wir werden diese Annahme in diesem zweiteiligen Thinker-Post untersuchen, indem wir näher auf die Funde eingehen und dann untersuchen, ob sie sich in das Gesamtpuzzle einfügen lassen.

Die Stadt Amarna (etwa 300 Kilometer südlich von Kairo) hat eine sehr kurze Geschichte. Pharaoh Echnatons religiöse Revolution ersetzte die traditionelle Götterwelt, die die Ägypter anbetete, durch die einzelne Gottheit Aton (dargestellt als Lichtstrahlen, die von einer Sonnenscheibe ausgingen). Nach dieser religiösen Wende ließ Echnaton die ganze neue Stadt Amarna als große Hauptstadt innerhalb von fünf kurzen Jahren erbauen. Nach ihrer Fertigstellung diente sie nur etwa ein Jahrzehnt als blühende Stadt, da sie nach dem Tod des Pharaos, den andere als Häretiker sahen, schnell verlassen und zerstört wurde. Die Steine der Stadt wurden größtenteils für Bauprojekte anderer Orte geplündert. Die konventionelle Chronologie datiert die Existenz der Stadt von 1346 bis 1332 v. Chr., dem Todesjahr Echnatons. Sein Nachfolger Tutenchamun (König Tut) verlegte die Hauptstadt nach Memphis, und Amarna wurde nie wieder aufgebaut.

Blick von Süden über die Ausgrabungsstätte von Amarna, das zwischen dem Nil und den Felshügeln weiter im Inland lag. (© Mary Shepperson/The Amarna Project).

Der archäologische Ort Amarna ist Schauplatz ständiger Ausgrabungen im Rahmen des Amarna Projects, bei dem auch Mary Shepperson seit 2006 dabei ist.

Vor kurzem berichtete sie der englischen Zeitung „The Guardian“ über die schaurigen Funde in Amarna. Mit dem Ziel, mehr über die unteren Gesellschaftsschichten der Stadt zu erfahren, gruben die Archäologen bei einem Friedhof am südlichen Ende des Ausgrabungsortes, von dem man annahm, dass dort 6000 Beerdigungen stattgefunden hatten. Shepperson sagte, dass die Ergebnisse typisch für die untere Schicht der alten ägyptischen Gesellschaft seien. Hinweise bei den einfachen Begräbnissen deuteten auf „Armut, harte Arbeit, schlechte Ernährung, schlechte Gesundheit, häufige Verletzungen und einen relative frühen Tod hin…es gab nur kleine Unterschiede in Bezug auf Vermögen und Beerdigungsstil, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen war recht ausgeglichen, und die Altersstruktur zeigte das übliche Muster antiker Gesellschaftsschichten.“ All das entsprach dem, was man in etwa erwartet hatte.

Doch dann wurde 2015 ein neuer Friedhof am Nordende offengelegt, und dort machte man die merkwürdigen Entdeckungen. Der Friedhof befand sich nahe des Haupt-Steinbruchs, und die Forscher, die die Gräber untersuchten, bemerkten einige auffallenden Tatsachen. Es war sofort klar, dass diese Bestattungen sogar noch einfacher, als die am Südende waren. Es gab fast keine Grabbeigaben für die Toten, und für die Umhüllung der Leichen hatte man nur raues Material genutzt. Mit der Zeit wurde klar, dass alle Skelette von jungen Menschen stammten, es gab keine Kleinkinder oder ältere Erwachsene. „Das war auf jeden Fall sehr ungewöhnlich und auch unheimlich,“ sagte Shepperson.

Begräbnis eines Jugendlichen aus den Ausgabungen des North Tombs Cemetery, Amarna, Ägypten. (© Mary Shepperson/The Amarna Project).

Nachdem Dr. Gretchen Dabbs von der Southern Illinois University die Skelette von 105 Individuen analysiert hatte, bestätigte sich, dass über 90 Prozent eine Altersspanne von sieben bis 25 Jahre hatten, die meisten waren jedoch unter 15 Jahre. „Dies war im Wesentlichen eine Begräbnisstätte für Heranwachsende“, sagte Shepperson.

Dieses junge Alter ist eine Zeit, in der Menschen normal nicht sterben. Weitere Untersuchungen der Knochen brachten die Erklärungen ans Licht: „Bei dieser jungen Bevölkerung fanden wir ganz viel traumatische Verletzungen und schlechte Gesundheitszustände vor. Die Mehrzahl der 15- bis 25-Jährigen hatte irgendeine schwerwiegende Verletzung und zehn Prozent hatten Arthrose bekommen. Sogar bei den unter 15-Jährigen hatten 16 Prozent Rückenbrüche, zusammen mit weiteren Abnormitäten, die man normalerweise mit Schwerstarbeit verbindet.“

Die naheliegende Schlussfolgerung ist, dass eine Sklavenarbeiterschaft von Kindern, Teenagern und jungen Erwachsenen zu extrem harter Arbeit unter zermürbenden Bedingungen gezwungen worden war, um schnell Echnatons berühmte Stadt zu bauen. Die meisten erreichten nicht mehr das späte Teenageralter. Dazu ist anzumerken, dass 43 Prozent der Gräber mehr als eine Leiche enthielten. Manchmal waren fünf oder sechs Leichten übereinander ins Grab geworfen worden. Die Verstorbenen in diesen Mehrfachgräbern hatten fast alle ziemlich dasselbe Alter, was zeigte, dass es sich nicht um Geschwister handelte. Diese Tatsache brachte Shepperson zu einer ernüchternden Schlussfolgerung:

„…repräsentieren. Die Mehrfachgräber am Südende des Friedhofs befinden sich nebeneinander in Gruben, die doppelte oder dreifache Breite der üblichen Gräber haben. Aber hier am Nordende des Friedhofs haben die Gräber mit mehreren Leichen dieselbe Größe wie die Einzelgräber. Man hat die Leichen einfach übereinandergestapelt. Das deutet darauf hin, dass man die Toten erwartete und Gräber grub, ohne genau zu wissen, wie viele Tote es geben würde. Manchmal gab es nur eine Leiche, doch wenn mehr kamen, dann musste das Grab eben für mehr herhalten. Ob diese Sammlung der Opfer eine wöchentliche, monatliche oder jährliche Angelegenheit war, bleibt spekulativ. Aber der Friedhof ist groß und enthält wahrscheinlich mindestens einige Tausend Begrabene.“

„… Ägypten ist für antike Verhältnisse mit außergewöhnlichen prächtigen Bauten übersät – von den Pyramiden über die Tempel und Kanäle bis hin zu den künstlichen Seen –  beauftragt von Pharaonen mit ähnlich größenwahnsinnigen Ansinnen wie Echnaton. Wenn wir diese Wunderwerke bestaunen, sollten wir vielleicht mehr an die Menschen denken, die dafür mit ihrem Leben bezahlten, einige grad erst am Lebensanfang – das war der Preis für diesen großen Ehrgeiz.“

Die Arme und der Körper eines jugendlichen Skeletts, das nach der Entfernung aus dem Grab in eine Kunststoffkiste gelegt wurde. (© Mary Shepperson/The Amarna Project).

Shepperson schlägt in der frühen Phase der Untersuchung drei Hauptoptionen vor, wer diese Menschen waren. Aufgrund ihrer wahrscheinlichen Trennung von ihrer Familie (die normalerweise für eine ordentliche Bestattung gesorgt hätte, was für die alten Ägypter sehr wichtig war), könnten sie zwangsverpflichtete Kinder ägyptischer Familien sein. Weil man diese jungen Menschen anscheinend als ersetzbar betrachtete, könnten sie Kinder von Sklaven gewesen sein. Oder es könnte sich um eine gefangene oder verschleppte Bevölkerungsgruppe handeln, die nach Armana gebracht wurde, um seine Straßen, Monumente und Gebäude zu bauen – bis zum jetzigen Stand wurden noch keine DNA-Tests gemacht, die ihren Herkunftsort bestimmt hätte.

Der Ort der Funde im alten Ägypten nahe der Zeit, in der viele Gelehrte den biblischen Exodus aus Ägypten vermuten, macht es verständlich, dass einige annehmen, dass man hier eindeutige Belege für die Unterdrückung der israelitischen Slaven gefunden hat. Sigmund Freud war einer derjenigen, die versucht haben, Mose der einzigartigen Zeit des Monotheismus unter Echnaton zuzuordnen. Außerdem gibt es andere Faktoren aus Echnatons Herrschaft, die darauf hindeuten, dass er im Laufe der Jahre unter Gelehrten zum Hauptkandidat der Pharaonen wurde, die entweder zur Zeit der israelitischen Sklavenschaft oder während des Exodus lebten.

Es gibt jedoch noch viele andere Orte in der Geschichte Ägyptens, von denen man annahm, dass sie in die Zeiten des Exodus passen. Jede dieser Sichtweisen bringt einige Belege vor, um zu beweisen, dass sie Recht hat. Wie kann man entscheiden, welcher (wenn überhaupt einer) dieser miteinander ringender Behauptungen man den Vorzug geben soll? Passen die Funde von Amarna und die anderen vorgeschlagenen Funde aus der Zeit Echnatons wirklich zu dem, was in der Bibel erzählt wird? Und wenn man solche Behauptungen zu sehr unterstützt, würde das den Ruf der Bibel in den Augen vieler schädigen?
Indem wir nach der Art des „Pattern“-Ansatzes vorgehen, werden wir uns diesen Fragen nächste Woche in Teil II der Diskussion widmen.